Being catholic -being digital ?
Verfasst: Samstag 22. Juli 2006, 20:21
Trägt sie zur Entmythologisierung des Cyberspace im Licht! e ihres Glaubens an die Erlösung durch Gott bei?
Erst auf diesem Hintegrund werden die notwendigen Optionen im theologischen Denken der Gegenwart verständlich: Being catholic versus being digital; Inkarnation versus digitale Exkarnation; Sakramentale Transformation versus religiöse Unmittelbarkeit.
Es ist eine archaische Geschichte. Und wie dies halt bei allen archaischen Geschichten der Fall ist, erzählt sie etwas, was sich irgendwann abgespielt hat, was aber sich immer und immer wieder ereignen kann...
Vor uns erscheint ein pubertierender Durchschnittsjugendlicher unserer Zeit – nennen wir ihn Bilge Khan.
Er hat gerade Krach mit seinem Vater und seinem älteren Bruder gehabt, fühlt sich zurückgesetzt und gedemütigt. Deswegen flieht er auch, und er flieht in sein Zimmer. Er schließt die Tür ab, loggt sich in seinen Heimcomputer ein und surft stundenlang im Internet. Dort kann er seine „profundior et universalior appetitio", seinen Appetit aufs Leben reizen und befriedigen; dort hat er auch seine "virtual community", seine wahre Gemeinschaft - man könnte fast sagen, seine Kirche - gefunden: Menschen, die ihn anscheinend verstehen und ihm auch Geborgenheit schenken.
Ganz im Gegenteil zu der 'wirklichen Welt' seiner Familie, seiner Schule und seiner Freunde auf der "wirklichen" Straße. Stundenlang saugt er die faszinierenden Bilder auf; Bilder vom geglückten Leben: in dem scheinbar alles, aber gar alles möglich zu sein scheint, in dem die Raumgrenzen keine Relevanz haben und auch die Zeit anscheinend keine Rolle spielt, als sei die Frage der 'tota simul et perfecta possessio' nur noch eine Angelegenheit der besseren Prozessoren.
Schlussendlich übermannt ihn aber doch die Müdigkeit: eine jener angenehmen Grenzsituationen aus der alten, wirklichen und nicht virtuellen Welt. Er schläft ein ... und er fängt an zu träumen:
Den Traum von ‚Heavens Gate’!..
Wie sehen nun seine mysteria tremenda et fascinosa aus? Welche Götter bevölkern seinen Himmel? Und wie sehen die Treppen dorthin und auch die Engel aus, die da hinauf- und hinabsteigen und ihn in diesen seinen Himmel einladen und ihm auch die Wege der Erfüllung seiner appetitio zeigen? Erlebt unser Bilge Khan in seinem Traum bloß die Dramatisierung jener Erlösungsmythen, die seit der Geburt von Cyberpunk-Fiction - seit Hans Bethke, William Gibson, Bruce Sterling u.a.- immer und immer wieder nach demselben Schema beschrieben, inzwischen auch verfilmt und zu unzähligen Computerspielen transformiert werden? Wird er also in seinem Traum ins Irgendwann des 21. Jahrhunderts versetzt, von den zerfallenden Stadtlandschaften und ihren proletarisierten Bewohnern einerseits und den übermächtigen, längst die interplanetarische Herrschaft ausübenden Konzernen anderseits erschreckt? ..Kann er die Katharsis durch die Identifikation mit den gottgleichen Helden des Cyberspace, die als Befreier auftreten, erleben und mit ihnen den schwerelosen Heroismus zelebrieren? Oder sind seine Träume bereits einen Schritt mutiger, weil auf die qualitative Veränderung des Menschen und auf post-biologische Lebensformen ausgerichtet? Wird in seinem Traum seine appetitio ..modernisiert, von den lästigen - allzu fleischlichen - Konnotationen befreit? Berührt ihn in seinem Traum gar der ‚Digitalfinger Gottes’ und schafft ihn zu einem neuen Menschen, dem androgynen Cyborg, so ganz nach den Maßstäben einer Donna Haraway?
Die Cyberträume unseres vor seinem Computer schlafenden postmodernen Bilge Khan verweisen ja auf die vielfältigen Lebensformen der Gegenwart, in denen sich die extremsten Utopien mit modernsten Techniken verbinden und deren Spektrum von der Cyberarbeit über die Cyberkirchen bis hin zum Cybersex reicht, doch haben sie alle eigentlich nur eines gemeinsam: ihren Ort. Der Cyberspace scheint der privilegierte Ort der Gegenwart zu sein, an dem die an sich - weil vom Begriff her - ortlose Utopia geerdet und so paradox es klingen mag, zum Greifen nahe verortet wurde. Dabei ist der Begriff alles andere als eindeutig.
Diese seine Unschärfe ist aber sein bester Qualitätsausweis, gerade im Kontext religiöser und religionskritischer Diskurse.. Aufgrund der Beobachtung der an den Videospielautomaten hängenden Jugendlichen kam der Science-Fiction-Autor William Gibson auf die Idee, dass diese während des Spiels den Glauben an einen hinter dem Schirm existierenden Raum entwickeln: einen Raum, den die Spiele selbst projizieren. In seinem Roman ’Neuromancer’ nannte er 1984 einen solchen Raum: 'Cyberspace'.
Und was sollte das sein?
Im ‚Neuromancer’ wurde er folgendermaßen beschrieben: ‚Eine konsensuelle Halluzination, täglich erlebt von Milliarden von Berechtigten in allen Ländern, von Kindern zur Veranschaulichung mathematischer Begriffe... Unvorstellbare Komplexität. Lichtzeilen in den Nicht-Raum des Verstandes gepackt, gruppierte Datenpakete. Wie die fliehenden Lichter einer Stadt’. John Perry Barlow übernahm den Ausdruck von Gibson für die Bezeichnung der Verknüpfung von Computertechnologie und Telekommunikation und verwandelte damit den Ort der elektronischen Kommunikation, den man auch als einen die Erde umkreisenden Wirrwarr von Hightech-Kabeln beschreiben könnte, zu einem regelrecht sakralen Raum. Er beharrte ja geradezu darauf, dass der Begriff eine qualitativ neue Welt bezeichnet. Der Begriff wurde zum richtigen Platzhalter für alle möglichen Inhalte und Gehalte: zu einem utopischen Topos (einem ortlosen Ort)!
Jeder Internetsurfer findet sich genauso an diesem Ort wieder, wenn er im Datenraum navigiert, wie sich auch Denker und Träumer dort wieder finden, wenn sie über die Chancen der Grenzüberschreitung durch die Schnittstelle ‚Mensch-Computer’ nachdenken.
Die Elementarstufe solcher Erfahrungen beschrieb Howard Rheingold zu Beginn der 90er-Jahre: 'Stellen wir uns ein Bildsystem vor, das uns völlig umschließt und dreidimensionale Bilder erzeugt, mit scheinbar vorhandenen Objekten, die wir anfassen und manipulieren sowie mit Händen und Fingern spüren können..heissa.
Stellen wir uns weiter vor, wir würden in diese künstliche Welt eintauchen und sie aktiv durchstreifen, statt sie nur von einem festen Standpunkt aus auf einer flachen Leinwand, einem Fernsehschirm oder einem Computerdisplay, anzustarren. Denken wir uns, wir wären zugleich die Schöpfer und Konsumenten unserer künstlichen Erfahrung. Wir selbst können die Welt, die wir sehen, hören und fühlen, sie mittels einer Geste oder eines Wortes umgestalten...
Kehren wir also zurück zu unserem schlafenden Bilge Khan, dem postmodernen! Individuum, dem der Cyberspace zu seiner Lebensumgebung und seinem Zufluchtsort wurde: einem regelrechten Topos, den er selbst in seinen Träumen nicht verlassen will oder auch nicht verlassen kann.
Wem ist er denn bei seinem Ausriss aus der Gemeinschaft seines Vaters und seines Bruders bei seinen Reisen im Cyberspace begegnet?
Auch wenn der Traum von der ‚tota simul et perfecta possessio’ in der Wirklichkeit noch einige Zeit auf sich warten lässt, überbietet das WEB - als Erfahrungsraum - all das, was die Menschheit in ihrer Geschichte bisher gekannt hat. Mindestens in quantitativer Hinsicht wohl gemerkt! Aber auch dessen ‚metaphysische Qualität’ ist bereits zur Genüge diskutiert worden: zeit- und ortlos; überall und nirgends!
Ubiquität und Synchronität charakterisieren die Lebensumgebung unseres postmodernen Bilge Khan. Im existentiellen Vollzug des Surfens nimmt er allerdings diese seine Heimat durchaus auf eine physische - man könnte fast sagen handgreifliche - Art und Weise wahr. Und was bedeutet dies kon-g-ret?
Der Cyberspace begegnet unserem Bilge Khan, er widerfährt ihm - und dies als ein Kommunikationsraum gefüllt mit Kommunikationspartnern und Modellen: den Göttern oder auch den Engeln, die ihm einen Himmel anzeigen und ihn auf die Treppe dorthin hinweisen, ihm den Weg zur Erfüllung seiner appetitio anzeigen.. Die schon in der wirklichen Welt vorhandene Vielfalt wird in der virtuellen noch verstärkt; dem Pluralismus von Lebenshaltungen wird scheinbar keine Grenze gesetzt So gesehen stellt der ‚Cyberspace’ keinen Bruch zum Raum der medial strukturierten Öffentlichkeit dar, sondern deren konsequente Fortsetzung und Überbietung. Denn auch der mediale Pluralismus besteht ja nicht nur in der Anhäufung von Modellen, die unseren Bilge Khan faszinieren und ihn auf den Weg einer so oder anders verstandenen Befreiung oder gar Erlösung mitnehmen; schon der medial strukturierte Raum der Öffentlichkeit legt ihm im Grunde dasselbe Lebensideal nahe, dass auch die Virtual Reality verspricht.
Die soteriologische Botschaft vom Ideal einer frei zu wählenden Bricollage-Identität, massiert systematisch unser aller Ohren und Augen und auch den Gaumen gemäß der McLuhan'schen Tradition der Medien als Massageinstitution: Du kannst entscheiden! Du sollst entscheiden! Wie es dir passt!
Jedem Bilge Khan seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel und seine eigene Leiter dorthin als Antwort auf seine profundior et universalior appetitio’
Wenn dies aber so ist, wie kann aus dem pubertierenden Bilge Khan ein politisch mündiger Bürger werden?
So paradox es auch klingen mag: Auf der Ebene der Alltagserfahrung schafft der Cyberspace zwar aufgrund der weltumspannenden Mechanismen und Kommunikationsnetze eine Schicksalsgemeinschaft der Menschheit, zugleich atomisiert und vereinsamt er aber auch deren Mitglieder.
Unsere Erlösungsformel müsste demnach ergänzt werden: ‚Jedem Bilge Khan’ seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel, seine eigene Leiter dorthin und auch seine eigenen Sündenböcke als Antwort auf seine profundior et universalior appetitio" - wobei die Sündenböcke noch am ehesten gemeinsam sind!...
Um auf Gott-Wissen zurückzukommen, in seinem Buch „The Soul of Cyberspace" geht Jeff Zaleski auf die Reise zu den Homepages großer Religionsgemeinschaften.
Er startet bei der virtuellen Diözese Partenia. Nach der Amtsenthebung des Bischofs Gaillot als Bischof von Evreux, wurde dieser zum Bischof von Partenia - einer nicht mehr existierenden Diözese in Algerien - ernannt. Eine virtuelle Diözese also? Der kreative und streitbare Bischof machte aus der Not eine Tugend, verlegte am 13. Januar 1996 - ein Jahr nach seiner Amtsenthebung - das Territorium seiner Diözese in den Cyberspace. Partenia ist nun eine der religiösen Seiten im Web mit vielen Links - unter anderem auch zur Webpage des Vatikans.
Regelmäßig publiziert Bischof Gaillot dort seine Hirtenbriefe. Das Bild der Diözese (eine Wüstenlandschaft) scheint dieser einen Ort zuzuweisen und tut es doch nicht.
Existiert diese Diözese wirklich?
Sie hat weder eine Kathedrale, noch eine sich regelmäßig versammelnde Gemeinde und schon gar nicht eine sakramentale Praxis, außer man begreift die Virtual Community als Gemeinde und die Rituale derselben als Sakramente. Ergibt das aber einen Sinn?
Angeregt durch solche Fragen geht Zaleski auf die Reise. Er besucht wirkliche religiöse Gemeinden und Amtsträger in Amerika und zwar jene, die überproportional im WEB präsent sind, um sie nach dem Selbstverständnis ihres Tuns und Glaubens zu befragen. Von der ultra-orthodoxen jüdischen Chabad-Lubavitch-Gemeinde über einige islamischen Gebetsstätten im Westen, die im WEB ihre Gebetszeiten angeben, einige christlich motivierte Seiten bis hin zu einem buddhistischen Kloster und einem hinduistischen Zentrum: Fast überall findet er dasselbe Motiv.
Die Webseiten sollen der Information dienen, zur Unterstützung - auch in finanzieller Hinsicht - der Gemeinden motivieren und weltweit den Sympathisanten und Neugierigen einen Kontakt ermöglichen.
Als Orte einer expliziten spirituellen Erfahrung werden die Webseiten - zumindest von den Betreibern - nicht betrachtet!
Ein Benediktiner- Mönch antwortet auf die Frage ob Gott sich im Cyberspace offenbare:
‚Mir jedenfalls nicht, Gott sei Dank!’..und Dir ?
PS: bedanken möchte ich mich bei einem Ordensbruder für diese Zeilen...
Erst auf diesem Hintegrund werden die notwendigen Optionen im theologischen Denken der Gegenwart verständlich: Being catholic versus being digital; Inkarnation versus digitale Exkarnation; Sakramentale Transformation versus religiöse Unmittelbarkeit.
Es ist eine archaische Geschichte. Und wie dies halt bei allen archaischen Geschichten der Fall ist, erzählt sie etwas, was sich irgendwann abgespielt hat, was aber sich immer und immer wieder ereignen kann...
Vor uns erscheint ein pubertierender Durchschnittsjugendlicher unserer Zeit – nennen wir ihn Bilge Khan.
Er hat gerade Krach mit seinem Vater und seinem älteren Bruder gehabt, fühlt sich zurückgesetzt und gedemütigt. Deswegen flieht er auch, und er flieht in sein Zimmer. Er schließt die Tür ab, loggt sich in seinen Heimcomputer ein und surft stundenlang im Internet. Dort kann er seine „profundior et universalior appetitio", seinen Appetit aufs Leben reizen und befriedigen; dort hat er auch seine "virtual community", seine wahre Gemeinschaft - man könnte fast sagen, seine Kirche - gefunden: Menschen, die ihn anscheinend verstehen und ihm auch Geborgenheit schenken.
Ganz im Gegenteil zu der 'wirklichen Welt' seiner Familie, seiner Schule und seiner Freunde auf der "wirklichen" Straße. Stundenlang saugt er die faszinierenden Bilder auf; Bilder vom geglückten Leben: in dem scheinbar alles, aber gar alles möglich zu sein scheint, in dem die Raumgrenzen keine Relevanz haben und auch die Zeit anscheinend keine Rolle spielt, als sei die Frage der 'tota simul et perfecta possessio' nur noch eine Angelegenheit der besseren Prozessoren.
Schlussendlich übermannt ihn aber doch die Müdigkeit: eine jener angenehmen Grenzsituationen aus der alten, wirklichen und nicht virtuellen Welt. Er schläft ein ... und er fängt an zu träumen:
Den Traum von ‚Heavens Gate’!..
Wie sehen nun seine mysteria tremenda et fascinosa aus? Welche Götter bevölkern seinen Himmel? Und wie sehen die Treppen dorthin und auch die Engel aus, die da hinauf- und hinabsteigen und ihn in diesen seinen Himmel einladen und ihm auch die Wege der Erfüllung seiner appetitio zeigen? Erlebt unser Bilge Khan in seinem Traum bloß die Dramatisierung jener Erlösungsmythen, die seit der Geburt von Cyberpunk-Fiction - seit Hans Bethke, William Gibson, Bruce Sterling u.a.- immer und immer wieder nach demselben Schema beschrieben, inzwischen auch verfilmt und zu unzähligen Computerspielen transformiert werden? Wird er also in seinem Traum ins Irgendwann des 21. Jahrhunderts versetzt, von den zerfallenden Stadtlandschaften und ihren proletarisierten Bewohnern einerseits und den übermächtigen, längst die interplanetarische Herrschaft ausübenden Konzernen anderseits erschreckt? ..Kann er die Katharsis durch die Identifikation mit den gottgleichen Helden des Cyberspace, die als Befreier auftreten, erleben und mit ihnen den schwerelosen Heroismus zelebrieren? Oder sind seine Träume bereits einen Schritt mutiger, weil auf die qualitative Veränderung des Menschen und auf post-biologische Lebensformen ausgerichtet? Wird in seinem Traum seine appetitio ..modernisiert, von den lästigen - allzu fleischlichen - Konnotationen befreit? Berührt ihn in seinem Traum gar der ‚Digitalfinger Gottes’ und schafft ihn zu einem neuen Menschen, dem androgynen Cyborg, so ganz nach den Maßstäben einer Donna Haraway?
Die Cyberträume unseres vor seinem Computer schlafenden postmodernen Bilge Khan verweisen ja auf die vielfältigen Lebensformen der Gegenwart, in denen sich die extremsten Utopien mit modernsten Techniken verbinden und deren Spektrum von der Cyberarbeit über die Cyberkirchen bis hin zum Cybersex reicht, doch haben sie alle eigentlich nur eines gemeinsam: ihren Ort. Der Cyberspace scheint der privilegierte Ort der Gegenwart zu sein, an dem die an sich - weil vom Begriff her - ortlose Utopia geerdet und so paradox es klingen mag, zum Greifen nahe verortet wurde. Dabei ist der Begriff alles andere als eindeutig.
Diese seine Unschärfe ist aber sein bester Qualitätsausweis, gerade im Kontext religiöser und religionskritischer Diskurse.. Aufgrund der Beobachtung der an den Videospielautomaten hängenden Jugendlichen kam der Science-Fiction-Autor William Gibson auf die Idee, dass diese während des Spiels den Glauben an einen hinter dem Schirm existierenden Raum entwickeln: einen Raum, den die Spiele selbst projizieren. In seinem Roman ’Neuromancer’ nannte er 1984 einen solchen Raum: 'Cyberspace'.
Und was sollte das sein?
Im ‚Neuromancer’ wurde er folgendermaßen beschrieben: ‚Eine konsensuelle Halluzination, täglich erlebt von Milliarden von Berechtigten in allen Ländern, von Kindern zur Veranschaulichung mathematischer Begriffe... Unvorstellbare Komplexität. Lichtzeilen in den Nicht-Raum des Verstandes gepackt, gruppierte Datenpakete. Wie die fliehenden Lichter einer Stadt’. John Perry Barlow übernahm den Ausdruck von Gibson für die Bezeichnung der Verknüpfung von Computertechnologie und Telekommunikation und verwandelte damit den Ort der elektronischen Kommunikation, den man auch als einen die Erde umkreisenden Wirrwarr von Hightech-Kabeln beschreiben könnte, zu einem regelrecht sakralen Raum. Er beharrte ja geradezu darauf, dass der Begriff eine qualitativ neue Welt bezeichnet. Der Begriff wurde zum richtigen Platzhalter für alle möglichen Inhalte und Gehalte: zu einem utopischen Topos (einem ortlosen Ort)!
Jeder Internetsurfer findet sich genauso an diesem Ort wieder, wenn er im Datenraum navigiert, wie sich auch Denker und Träumer dort wieder finden, wenn sie über die Chancen der Grenzüberschreitung durch die Schnittstelle ‚Mensch-Computer’ nachdenken.
Die Elementarstufe solcher Erfahrungen beschrieb Howard Rheingold zu Beginn der 90er-Jahre: 'Stellen wir uns ein Bildsystem vor, das uns völlig umschließt und dreidimensionale Bilder erzeugt, mit scheinbar vorhandenen Objekten, die wir anfassen und manipulieren sowie mit Händen und Fingern spüren können..heissa.
Stellen wir uns weiter vor, wir würden in diese künstliche Welt eintauchen und sie aktiv durchstreifen, statt sie nur von einem festen Standpunkt aus auf einer flachen Leinwand, einem Fernsehschirm oder einem Computerdisplay, anzustarren. Denken wir uns, wir wären zugleich die Schöpfer und Konsumenten unserer künstlichen Erfahrung. Wir selbst können die Welt, die wir sehen, hören und fühlen, sie mittels einer Geste oder eines Wortes umgestalten...
Kehren wir also zurück zu unserem schlafenden Bilge Khan, dem postmodernen! Individuum, dem der Cyberspace zu seiner Lebensumgebung und seinem Zufluchtsort wurde: einem regelrechten Topos, den er selbst in seinen Träumen nicht verlassen will oder auch nicht verlassen kann.
Wem ist er denn bei seinem Ausriss aus der Gemeinschaft seines Vaters und seines Bruders bei seinen Reisen im Cyberspace begegnet?
Auch wenn der Traum von der ‚tota simul et perfecta possessio’ in der Wirklichkeit noch einige Zeit auf sich warten lässt, überbietet das WEB - als Erfahrungsraum - all das, was die Menschheit in ihrer Geschichte bisher gekannt hat. Mindestens in quantitativer Hinsicht wohl gemerkt! Aber auch dessen ‚metaphysische Qualität’ ist bereits zur Genüge diskutiert worden: zeit- und ortlos; überall und nirgends!
Ubiquität und Synchronität charakterisieren die Lebensumgebung unseres postmodernen Bilge Khan. Im existentiellen Vollzug des Surfens nimmt er allerdings diese seine Heimat durchaus auf eine physische - man könnte fast sagen handgreifliche - Art und Weise wahr. Und was bedeutet dies kon-g-ret?
Der Cyberspace begegnet unserem Bilge Khan, er widerfährt ihm - und dies als ein Kommunikationsraum gefüllt mit Kommunikationspartnern und Modellen: den Göttern oder auch den Engeln, die ihm einen Himmel anzeigen und ihn auf die Treppe dorthin hinweisen, ihm den Weg zur Erfüllung seiner appetitio anzeigen.. Die schon in der wirklichen Welt vorhandene Vielfalt wird in der virtuellen noch verstärkt; dem Pluralismus von Lebenshaltungen wird scheinbar keine Grenze gesetzt So gesehen stellt der ‚Cyberspace’ keinen Bruch zum Raum der medial strukturierten Öffentlichkeit dar, sondern deren konsequente Fortsetzung und Überbietung. Denn auch der mediale Pluralismus besteht ja nicht nur in der Anhäufung von Modellen, die unseren Bilge Khan faszinieren und ihn auf den Weg einer so oder anders verstandenen Befreiung oder gar Erlösung mitnehmen; schon der medial strukturierte Raum der Öffentlichkeit legt ihm im Grunde dasselbe Lebensideal nahe, dass auch die Virtual Reality verspricht.
Die soteriologische Botschaft vom Ideal einer frei zu wählenden Bricollage-Identität, massiert systematisch unser aller Ohren und Augen und auch den Gaumen gemäß der McLuhan'schen Tradition der Medien als Massageinstitution: Du kannst entscheiden! Du sollst entscheiden! Wie es dir passt!
Jedem Bilge Khan seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel und seine eigene Leiter dorthin als Antwort auf seine profundior et universalior appetitio’
Wenn dies aber so ist, wie kann aus dem pubertierenden Bilge Khan ein politisch mündiger Bürger werden?
So paradox es auch klingen mag: Auf der Ebene der Alltagserfahrung schafft der Cyberspace zwar aufgrund der weltumspannenden Mechanismen und Kommunikationsnetze eine Schicksalsgemeinschaft der Menschheit, zugleich atomisiert und vereinsamt er aber auch deren Mitglieder.
Unsere Erlösungsformel müsste demnach ergänzt werden: ‚Jedem Bilge Khan’ seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel, seine eigene Leiter dorthin und auch seine eigenen Sündenböcke als Antwort auf seine profundior et universalior appetitio" - wobei die Sündenböcke noch am ehesten gemeinsam sind!...
Um auf Gott-Wissen zurückzukommen, in seinem Buch „The Soul of Cyberspace" geht Jeff Zaleski auf die Reise zu den Homepages großer Religionsgemeinschaften.
Er startet bei der virtuellen Diözese Partenia. Nach der Amtsenthebung des Bischofs Gaillot als Bischof von Evreux, wurde dieser zum Bischof von Partenia - einer nicht mehr existierenden Diözese in Algerien - ernannt. Eine virtuelle Diözese also? Der kreative und streitbare Bischof machte aus der Not eine Tugend, verlegte am 13. Januar 1996 - ein Jahr nach seiner Amtsenthebung - das Territorium seiner Diözese in den Cyberspace. Partenia ist nun eine der religiösen Seiten im Web mit vielen Links - unter anderem auch zur Webpage des Vatikans.
Regelmäßig publiziert Bischof Gaillot dort seine Hirtenbriefe. Das Bild der Diözese (eine Wüstenlandschaft) scheint dieser einen Ort zuzuweisen und tut es doch nicht.
Existiert diese Diözese wirklich?
Sie hat weder eine Kathedrale, noch eine sich regelmäßig versammelnde Gemeinde und schon gar nicht eine sakramentale Praxis, außer man begreift die Virtual Community als Gemeinde und die Rituale derselben als Sakramente. Ergibt das aber einen Sinn?
Angeregt durch solche Fragen geht Zaleski auf die Reise. Er besucht wirkliche religiöse Gemeinden und Amtsträger in Amerika und zwar jene, die überproportional im WEB präsent sind, um sie nach dem Selbstverständnis ihres Tuns und Glaubens zu befragen. Von der ultra-orthodoxen jüdischen Chabad-Lubavitch-Gemeinde über einige islamischen Gebetsstätten im Westen, die im WEB ihre Gebetszeiten angeben, einige christlich motivierte Seiten bis hin zu einem buddhistischen Kloster und einem hinduistischen Zentrum: Fast überall findet er dasselbe Motiv.
Die Webseiten sollen der Information dienen, zur Unterstützung - auch in finanzieller Hinsicht - der Gemeinden motivieren und weltweit den Sympathisanten und Neugierigen einen Kontakt ermöglichen.
Als Orte einer expliziten spirituellen Erfahrung werden die Webseiten - zumindest von den Betreibern - nicht betrachtet!
Ein Benediktiner- Mönch antwortet auf die Frage ob Gott sich im Cyberspace offenbare:
‚Mir jedenfalls nicht, Gott sei Dank!’..und Dir ?
PS: bedanken möchte ich mich bei einem Ordensbruder für diese Zeilen...